https://www.np-coburg.de/region/kronach/Aufwuehlend-bis-zur-letzten-Minute;art83426,6430620
Die Berliner Compagnie gastiert mit dem
Stück "Die Sehnsucht nach dem Frühling” über die Geschichte einer
syrischen Familie im Kronacher Kreiskulturraum. Foto: Heike Schülein Kronach - Es ist wahrlich kein leichter Stoff gewesen, der den zahlreichen Besuchern am Donnerstagabend im Kreiskulturraum geboten wurde. 90 schmerzliche Minuten lang begleiteten sie - ohnmächtig und machtlos der sich anbahnenden Ereignisse - eine syrische Familie von 2011 bis zur Gegenwart. Sie "reisten" an die Brennpunkte Syriens - Daraa, Damaskus, Homs, Jarmouk, Ghouta, Al-Raqqqa, Aleppo. Sie erfuhren die Bitterkeit des Krieges und nahmen Anteil an dem verzweifelten, aber doch zum Scheitern verurteilten Bemühen syrischer Menschen um ein friedliches Miteinander und Versöhnung. Die Förderer Gefördert wurde die Veranstaltung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie leben!" sowie vom Landkreis Kronach. Initiatoren waren die KAB und die Flüchtlingshilfe Kronach. Schonungslos ehrlich Dabei zeigte das Ensemble ein Stück, das den Akteuren wie auch Zuschauern einiges abverlangte - bei absoluter Stille im Publikum, das teilweise kaum zu atmen wagte. Was im März 2011 als friedlicher Protest gegen eine repressive Diktatur seinen Anfang nahm, wurde zum blutigsten Konflikt der Gegenwart - mit fast einer halben Million Todesopfern, zwölf Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesenen sind und elf Millionen Menschen, die in die Flucht getriebenen wurden. Die ungemein komplexen politischen Verwicklungen und Faktoren des syrischen Konflikts in 90 Minuten zu verpacken - und das auf eine räumlich beschränkte Theaterbühne, ist zweifelsohne gewagt. "Die Sehnsucht nach dem Frühling" ist aber gelungen. Trotz der schonungslos geschilderten entsetzlichen Verbrechen der Regierung lässt das Stück sehr unterschiedliche und zum Teil einander widersprechende Standpunkte zu Wort kommen, was dessen Glaubwürdigkeit sehr gut tut. Die Kronacherin Elke Schuster konzentriert sich in ihrer Inszenierung auf das Wichtigste: Die Charaktere, die keine unnötigen Requisiten brauchen: Eine schwarze Bühne mit fünf Stühlen für fünf Protagonisten, die sich die Seele aus dem Leib spielen. "Endlich kommt der arabische Frühling auch in mein Land", freut sich die Sunnitin Suleika. Mit geradezu kindlicher Begeisterungsfähigkeit lässt sich die junge Journalistin und "Demonstrantin der ersten Stunde" von ihrem Verlobten, dem Regimegegner Walid von den "Riesen-Demonstrationen" erzählen: "Zehntausende Männer, die "Gott ist groß" rufen - Trommler, Tänzer, ein unglaublicher Enthusiasmus und Parolen wie "Wir wollen internationalen Schutz! Wir wollen eine Flugverbotszone!" Ana Hauck gelingt es in höchst beeindruckender Art und Weise, die Tragik ihrer Figur zu unterstreichen. Alles - von himmelhochjauchzend bis zu zum Tode betrübt - trägt die aufrührerische junge Frau mit den feuerroten Haaren auf ihren Schultern: Begeisterung und Hoffnung aber auch Verzweiflung und Resignation - bei einem unablässigen Streben nach einem friedlichen Miteinander: Ein Spiel, das ganz und gar packte. Gleiches gilt für ihre kongenialen Schauspielkollegen. Atemberaubend, wie Alexander Matakas in der Rolles ihres Geliebten und anfänglichen Mitstreiters Wahlid einen Wandel vollzieht, sich als Regimegegner radikalisiert und sich schließlich der Al-Nusra-Front anschließt. Lediglich Suleikas Halbbruder Dawud (Jean-Theo Jost) - ein christlicher Militärarzt - bleibt ihr enger und treuer Vertrauter. Verzweifelt versucht ihre Mutter Aischa (Marion Alessandra Becker), die immer mehr auseinander driftende Familie zusammenhalten: "Ihr mögt mit einigem eurer Kritik recht haben. Aber vergesst nie: Zwischen zwei Syrer sitzt immer einer vom Geheimdienst", warnt sie. Mit einer unglaublichen Bühnenpräsenz mimt H. G. Fries deren Ehemann, Suleikas geliebten Stiefvater, Bassam. Herausragende Darsteller Der Alawit und Oberst der arabisch-Syrischen Armee unternimmt sein Möglichstes, um seine Kinder davon abzubringen, sich an den gefährlichen Demonstrationen zu beteiligen: "Nehmt an, ihr habt Erfolg und Assad ist gestürzt, was kommt dann? Nicht eure schöne Demokratie. Die Islamisten werden die Macht ergreifen!" Herausragend ist die Szene, als Suleika ihren Vater mit einem Foto konfrontiert, das ihn bei der Hinrichtung eines Regimegegners zeigt: Sie fragt ihn: "Vater, bist du das auf dem Foto? Ich will wissen, ob du dieser Mörder bist. Ich will wissen, wozu du fähig bist!" Schließlich die ungläubige Erkenntnis: "Ich habe einen Mörder zum Vater!" Am Ende bleiben nur sie beide zurück: Wahlid wird beim Versuch, sich dem IS anzuschließen, getötet. Dawud findet den Tod durch die Militärpolizei und ihre Mutter wird von einer Autobombe zerfetzt, die Bassam selbst gegolten hatte. Ein Ende, das dem tief aufgewühlten -Zuhörern die Kehle zuschnürt und bei dem man sich der Tränen nicht zu schämen braucht. |